Auf dem Weg zur Zufriedenheit

Mahboub Shah Hamidi

Der heute 22-jährige Afghane Mahboub Shah Hamidi weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Alltag mit Misstrauen durchsetzt ist: „In unserem Dorf wusstest du nie, wen du vor dir hast – einen Taliban oder einen ‚normalen’ Menschen.“ Ein einziges Mal war die Situation allerdings eindeutig: Ein Kämpfer der Taliban forderte ihn auf, bei der Terrororganisation „mitzuarbeiten“.

Die Mitarbeit sollte darin bestehen, dass Hamidi eine große Polizeistation mit rund 60 Polizisten ausspionieren sollte. Aus Sicht der Taliban war der junge Mann dazu prädestiniert, da er ab dem frühen Nachmittag nach der Schule einen Lebensmittelladen führte (siehe Kasten), der direkt neben dieser Polizeistation lag. „Sie wollten, dass ich für sie ausspioniere, wann die Polizisten Schichtwechsel haben, wann die Männer schlafen und überhaupt alles, was dort passiert.“

Nachdem Hamidi diesen Auftrag verweigerte, wurde er noch dreimal im Laden seines verstorbenen Vaters von den Taliban besucht. Dabei wurde ihm deutlich gemacht, dass man ihn ermorden werde, wenn er bei seiner ablehnenden Haltung bleiben würde. Ein Abgesandter der Terroristen äußerte diese Drohung auch gegenüber seiner Mutter. Obwohl Hamidi, der noch eine Schwester und einen jüngeren Bruder hatte, als das Familienoberhaupt galt und mit seiner Arbeit ausreichend Geld verdiente, riet ihm seine Mutter dazu, zu verschwinden: „Du musst den Laden verkaufen, um Geld für deine Flucht zu haben.“

Und so kam es, dass der damals erst 16 Jahre alte Teenager den väterlichen Laden verkaufte und in den Iran reiste, wo er sich mehrere Monate mit diversen Hilfsarbeiterjobs auch auf dem Bau durchschlug. „Wenn du in solchen Schwierigkeiten bist, nimmst du jede Arbeit an,“ resümiert der junge Mann trocken. Nachdem er genug Geld gespart hatte, führte ihn sein Fluchtweg über die Türkei nach Griechenland und von dort aus über die Balkanroute nach Deutschland.

Todesangst auf dem Meer

Auch wenn Hamidi die Geschichte seiner Flucht ohne jeglichen dramatischen Unterton erzählt, so gibt es doch ein Erlebnis, das bei ihm Todesangst ausgelöst hat: „Nachdem ich zusammen mit vielen anderen Flüchtlingen auf einem großen Schiff von der Türkei nach Griechenland gefahren waren, wurden wir zum Anlegen in kleinere Boote verfrachtet. Leider war das Boot meiner Gruppe leck – bis wir endlich am Ufer angekommen waren, hatte ich Todesangst, schließlich war ich Nichtschwimmer!“ Und stockend fügt er hinzu: „Da war so viel Kindergeschrei …“ In der ganzen Hektik des Wasserschöpfens verlor Hamidi dann auch noch sein Handy – der Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan war gekappt.

Erst nachdem er etwa einen Monat später in Deutschland angekommen war, hatte er Gelegenheit sich wieder ein mobiles Telefon zu kaufen. Gleich beim ersten Gespräch mit seiner Familie erfuhr er, dass seine Mutter aus Sorge um ihren Sohn fast verrückt geworden war.

Obwohl Hamidi heilfroh war, sein Ziel erreicht zu haben, gab es auch in Deutschland ein Erlebnis, das ihm zunächst Angst machte: „In Penzberg war ich in einer Sporthalle mit rund hundert anderen Leuten untergebracht: Da waren Afghanen wie ich, aber auch Afrikaner, Araber und noch viele andere Menschen aus verschiedenen Ländern. So eine wilde Mischung auf so engem Raum hatte ich noch nie erlebt.“

Mit der Verlegung in die Containersiedlung nach Odelzhausen fühlte sich Hamidi dann wesentlich sicherer. Schon bald nach seiner Ankunft vermittelte ihm eine Frau aus dem Helferkreis zusammen mit zehn anderen Flüchtlingen einen halbjährigen Deutschkurs, an dessen Ende die Teilnehmer einen Sprachtest machen mussten. Danach bestritt der junge Afghane noch weitere Kurse und bestand im Juli 2018 seinen letzten Test, der ihm Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 bestätigte – was nichts anderes bedeutet, als dass Hamidi weitgehend problemlos auf deutsch kommunizieren kann.

Eine kleine Erfolgsgeschichte

Ebenfalls auf Initiative des Helferkreises wurde der Kontakt zum Inhaber des Odelzhausener Edeka hergestellt. Das Ergebnis: Der lernwillige und freundliche Mann aus Afghanistan konnte erfolgreich eine Ausbildung zum Verkäufer abschließen. Aber damit ist für den ehrgeizigen Hamidi noch lange nicht Schluss: „Im Moment arbeite ich als Kommissionierer bei einem Unternehmen im benachbarten Sulzemoos. Aber nach ein paar Monaten Eingewöhnungszeit möchte ich dort eine Ausbildung als Einzelhandelskaufmann machen.“

Obwohl er bisher nur im Status der Duldung lebte, hat man dem vorbildlich integrierten Mann beim Landratsamt Hoffnung gemacht, dass er langfristig gesehen – etwa in zwei bis drei Jahren – einen normalen Pass erhalten kann. „Ich muss noch geduldig sein und habe demnächst wieder einen Termin bei den Behörden. Aber wenn alles klappt, werde ich in Deutschland ein zufriedenes Leben führen.“

Die Voraussetzungen für ein glückliches Leben des jungen Mannes sind gut: Nicht nur, dass er eine Arbeit hat – in der Zwischenzeit konnte er sogar aus der Containersiedlung ausziehen. Ein Pärchen aus dem Helferkreis hat ihm und einem Freund geholfen, eine kleine Wohnung in Odelzhausen zu finden. Und Hamidi selbst hat mit angespartem Geld für seine Familie in Afghanistan gesorgt und den Lebensmittelladen im Dorf zurückgekauft.

Claus Ritzi

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