R. B., 70 Jahre, Buchhalterin in Rente

„Besonders schöne Erlebnisse hatte ich – geraden in den ersten Jahren – mit syrischen Flüchtlingen. Sie haben mich und eine andere Helferin sehr oft zum Essen eingeladen. Das war jedes Mal wie ein Fest, bei dem wir zu Gast waren. Ich hatte vorher noch nie orientalische Mahlzeiten zu mir genommen, und ich muss sagen, es hat mir sehr gut geschmeckt.

Einmal hat ein Syrer in der Wohnung einer Kollegin aus dem Helferkreis gekocht. Das Essen war vorzüglich, aber am meisten hat mich beeindruckt, wie sauber und blitzblank dieser Mann die Küche aufgeräumt hat – das hätte keine deutsche Hausfrau besser machen können. Es war einfach alles perfekt!

Spannende Diskussionen über Religionen

Für mich war es generell sehr spannend, Einblicke in die Lebenswelt der Syrer zu bekommen. Sie haben mir ziemlich viele Geschichten aus ihrer Heimat erzählt. Zusätzlich habe ich dann noch Bücher über ihr Land gelesen, um sie besser zu verstehen. Mit einem der Syrer habe ich viele Diskussionen über Religion geführt und dabei viele Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Christen festgestellt. Ursprünglich habe ich vorgehabt, diejenigen Syrer mal zu besuchen, die wieder zurückgereist sind – aber das hat sich dann doch nicht ergeben.

Eine ganz neue und befremdliche Erfahrung war es für mich, dass die Syrer auf Afrikaner herabschauen. Mein Eindruck war, dass sie die Afrikaner als Untertanen betrachten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mich ein afrikanischer Flüchtling einmal bat, für ihn seinen Lebenslauf zu schreiben. Die Syrer haben das mitbekommen und bestanden prompt darauf, dass mich einer von ihnen zum Schutz begleitet, wenn ich den Afrikaner besuche. Im Zimmer des Afrikaners verhielt sich meine Begleitung sehr diskret und sagte kein Wort. Syrer würden niemals eine Frau alleine lassen und haben uns auch abends, wenn wir das Container-Dorf verließen, immer ein Stück weit begleitet. Ich war es ja gar nicht gewohnt, als europäische Frau derart geachtet zu werden.“

Fremde Essenskultur

„Heute sind ja mehr Afrikaner im Camp. An ihre Mentalität musste ich mich erst langsam herantasten. Von ihnen werden wir immer wieder zum Mitessen eingeladen. Aber für meinen Geschmack riecht das afrikanische Essen nicht gut. Deshalb habe ich die Einladungen immer freundlich abgelehnt. Einmal habe ich eine Ausnahme gemacht und mit einem jungen Afrikaner aus einer Schüssel gegessen. Es war ein Reisgericht, das sehr gut gewürzt war und das ich dann doch ganz schmackhaft fand.

Irgendwann vor längerer Zeit habe ich eine Gruppe Afrikaner zu mir nach Hause zum Essen eingeladen. Ich war mir nicht sicher, was ich auftischen sollte, weil viele aus religiösen Gründen ja kein Schweinefleisch essen. Also habe ich mich entschlossen, einen bunten Salat mit Thunfisch und Weißbrot herzurichten. Einer der jungen Männer hat mich dann gefragt, ob er den Salat mit den Händen essen darf – er hatte noch nie in seinem Leben mit Messer und Gabel gegessen.“

Unterschiedliche Besitz-Verhältnisse

„Einmal musste ein Malier aus dem Container-Dorf in Odelzhausen in eine andere Unterkunft nach Dachau umziehen. Das hatte berufliche Gründe. Wir hatten ausgemacht, dass ich ihn in sein neues Zuhause fahre. Als ich zum vereinbarten Zeitpunkt ankam, hatte der junge Mann noch nichts gepackt. Ich dachte mir, das geht ja schon gut los, und ging davon aus, dass ich noch eine ziemliche Weile auf ihn warten müsste. Aber nach zehn Minuten stand der Afrikaner mit einer Reisetasche und einer Schachtel strahlend vor mir. Das hat mir zu denken gegeben: Wenn ein Deutscher für zwei Wochen verreist, braucht er ja stundenlang, um seine Koffer zu packen. Aber ein Afrikaner, der in einfachsten Verhältnissen lebt, hängt eben nicht an so vielen Sachen wie wir. Ich habe den Malier dreieinhalb Jahre während seiner Ausbildung begleitet – heute ist er Metzgergeselle.“

Keine Fotos von Frauen

„Eine andere Geschichte, die mir immer in Erinnerung bleiben wird, war ziemlich traurig. Als ich gerade mit einem Mann aus Mali Deutsch gelernt habe, wurde ihm in einem Telefonat von seinem Bruder gesagt, dass seine Mutter gestorben sei. Für den jungen Malier war das ganz besonders schlimm, zumal ihn seine Mutter als Kind ungefähr bis zum Alter von fünf bis sechs Jahren immer mit sich herumgetragen hat. Für ihn war es ein großer Schmerz, dass er als Einziger der Großfamilie nicht beim Begräbnis seiner Mutter dabei sein und sich nicht von ihr verabschieden konnte. Er hat mir dann ein paar Tage später ein Bild seiner Mutter per WhatsApp geschickt. Ich habe ihm das Foto ausgedruckt, es in einen Rahmen gesteckt und ihm geschenkt. Das Bild habe ich nie mehr in seiner Umgebung gesehen. Es ist bei den Muslimen so, dass sie keine Bilder von Frauen zeigen. Das war sehr fremd für mich.“

Der Ablehnungsbescheid

„Eine ziemlich schwierige Situation war es für mich, als ein Afghane einen Asylantrag-Ablehnungsbescheid bekam. Es war der erste Ablehnungsbescheid, den ich in Händen hielt. Ich war ganz alleine und habe versucht, ihm zu erklären, was dieses Schreiben bedeutet. Aber letztendlich habe ich ihn an die Mitarbeiter der Caritas verwiesen.“

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