R. S., ehemalige Lehrerin

„Als Lehrerin habe ich im Münchner Stadtteil Neuperlach immer bilinguale Klassen unterrichtet. Von daher hatte ich gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen keine Berührungsängste. Schon bevor die ersten Asylbewerber in Odelzhausen ankamen, war ich in Markt Indersdorf aktiv. Ich bin durch die Flüchtlingsunterkunft gegangen und habe gerufen: ‚German lessons, wer braucht Deutschkurse?’ Als etwas später die ersten Asylbewerber in die Container nach Odelzhausen gebracht wurden, waren auch einige aus Markt Indersdorf dabei, die mich dann erfreut begrüßten.

Am Anfang haben wir im Helferkreis erst einmal geschaut, wer für welchen Bereich zuständig sein soll. Behördengänge und so etwas kamen für mich nicht infrage. Also habe ich mich wieder dazu entschieden, Deutschkurse zu geben. Der Helferkreis hat anfangs viele Kurse angeboten.

Teilweise mussten wir die „Jungs“ aus dem Bett scheuchen. Aber sie fühlten sich durch mich und eine Kollegin ganz einfach deshalb nicht gestört, weil sie uns ältere Frauen in der Mutterrolle gesehen haben. Wir waren von Anfang an gut akzeptiert. Wenn die jungen Männer gerade beim Essen waren, haben sie uns immer eingeladen. Die meisten waren sehr nett, und ich stehe mit einigen von ihnen auch dann noch in Verbindung, wenn sie nicht mehr in Deutschland leben. Ich schicke ihnen dann beispielsweise über Facebook Fotos von meinem Enkel. Meistens reagieren sie sofort und senden mir in sehr schönen Worten die besten Wünsche.

Syrer will Helferin bei sich aufnehmen

Weil ich ein wenig Arabisch kann, habe ich mich speziell für die syrischen Flüchtlinge interessiert. Bei den Syrern haben ältere Menschen einen hohen Stellenwert. Wenn ich mich beispielweise zu ihnen gesetzt habe, wurden mir von allen Seiten Kissen untergeschoben, sodass ich es möglichst bequem hatte. Einmal hat mich einer der jungen Syrer empört gefragt, warum ich nicht bei meinen Kindern wohne. Ich habe versucht, es ihm zu erklären. Aber er wollte das alles gar nicht hören und hat gemeint, dass ich in sein Haus einziehen sollte, sobald er eines besitzt. Das hat er total ehrlich  gemeint!

Weil ich eher ein Nachtmensch bin, habe ich mich auch für die Nachteinsätze gemeldet. Nachts werden die Container von Security-Leuten bewacht. Wenn es Ärger gab, hat mich häufig ein Mann der Security angerufen. Ich bin dann sofort gekommen und habe versucht, die Streitigkeiten zu schlichten. Meistens zofften sich die Flüchtlinge um Kleinigkeiten: Die Küche wurde nicht sauber hinterlassen, die Musik war zu laut und all solche alltäglichen Reibungspunkte. Der Vorteil war wieder meine Rolle als Mutter: Wenn ein Security-Mann vor ihnen stand, waren die jungen Männer durchaus in der Lage, ihn anzugreifen. Mir gegenüber hatten sie viel mehr Respekt. Ich hoffe, meine Präsenz hat schon dazu geführt, dass einige Polizeieinsätze vermieden wurden.“

Auf dem Weg nach Haar

„Einer der Flüchtlinge hatte ernsthafte psychische Probleme. Er hatte darum gebeten, ihm zu helfen, sein Kopf sei so dermaßen in Unordnung, dass er es nicht mehr aushalten könne. Der Notarzt konnte ihn nicht in Fürstenfeldbruck unterbringen, da keine Kapazitäten frei waren und der Kranke zu wenig besorgniserregende Symptome zeigte. Als der Sanka fort fuhr, wollte er sich mit einem Messer etwas antun. Ich habe dann eingegriffen und wollte ihn in die Psychiatrie nach Haar bringen. Also habe ich ihn spontan gepackt und in mein Auto gesetzt. Es war schon dunkel, als ich auf der Autobahn war. Ich habe mich dann gefragt, was ich eigentlich mit ihm mache, falls es in Haar keine Notaufnahme gibt. Also habe ich die Polizei angerufen und wollte von ihnen wissen, ob ich meinen verwirrten jungen Flüchtling so spät am Abend überhaupt noch in Haar unterbringen könne. Die Polizisten dachten aber, ich hätte Angst vor dem jungen Mann, und rieten mir, die Autobahn an der nächsten Ausfahrt zu verlassen, wo sie den Flüchtling in Empfang nehmen wollten. Ich hatte aber definitiv keine Angst – das war überhaupt nicht das Thema. Also bin ich weiter nach Haar gefahren. Das Pflegepersonal dort hat dann im Krankenhaus in Fürstenfeldbruck angerufen. Nach diesem Telefonat konnte ich ihn in der psychiatrischen Abteilung in Fürstenfeldbruck abliefern.“

Integration über Kirchenasyl

„Einer der Flüchtlinge – ich nenne ihn jetzt einfach mal E. – sollte abgeschoben werden, weil er in Italien gemeldet war. E. hatte eine wahnsinnige Angst vor der Polizei und war eines Tages einfach verschwunden. Ich habe ihn angerufen und mich dann mit ihm getroffen. Es war Herbst und er hatte kein Geld und auch nicht die passende Kleidung. Also habe ich ihm erst einmal eine Jacke gekauft.

Irgendwann später bin ich dann mit ihm zum Landratsamt gefahren, um ein wenig Geld für ihn zu beantragen. E. weigerte sich aus dem Auto zu steigen. Also wollte ich das Geld holen. Aber der Beamte sagte mir, dass er E. persönlich das Geld übergeben müsse. Ich habe mich dann mit dem Herrn darüber per Handschlag verständigt, dass ich E. holen würde, wenn er die Polizei nicht einzuschalten würde. Das hat dann auch geklappt.

Letztlich habe ich E. in Schönbrunn untergebracht. Dort leben auf einem Grundstück viele Behinderte, die von Schwestern betreut werden. Die Schwestern sagten mir, dass sie ihm zwar Kirchenasyl gewähren würden, sie
aber ansonsten keine Zeit hätten, um sich näher mit ihm zu befassen. Ich war dann ganz alleine für seine Betreuung zuständig. Das war mir einen Tick zu anstrengend. So einen Alleingang würde ich nie mehr wieder machen. Was mich aber gefreut hat: E. durfte die Schwestern beim Essen bedienen. Das hat er so charmant gemacht, dass ihn die gesamte Schwesternschaft in ihr Herz geschlossen hat.

Alles in allem hat E. Glück gehabt. Er hat erfolgreich eine Pflegehelfer-Ausbildung absolviert und startet in diesem Jahr seine dreijährige Ausbildung zum Pfleger im Krankenhaus rechts der Isar.“

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