T. W., 70 Jahre, Rentnerin, ehemalige Krankenschwester

„Ganz am Anfang, als die ersten Flüchtlinge in Odelzhausen ankamen, mussten sehr viele von ihnen zur Anhörung nach Deggendorf. Sie mussten schon um acht Uhr morgens vor Ort sein. Wir vom Helferkreis haben sie in unseren privaten Autos gleich frühmorgens hingebracht. Wenig später wurde diese Angelegenheit allerdings neu organisiert. Die Flüchtlinge konnten am Abend vor der Anhörung anreisen. Für die Übernachtungen wurde ihnen dann in der Deggendorfer Unterkunft jeweils ein Bett reserviert. Das war für uns eine große Erleichterung, denn nun konnten sie den Termin ohne unsere Hilfe selbstständig wahrnehmen. Eines Tages wurde ein Flüchtling zur Anhörung nach Bayreuth bestellt. Also habe ich ihm und einem Landsmann als Begleiter Bahntickets gekauft. Außerdem habe ich ihnen einen Plan mitgegeben, auf dem die Unterkunft eingezeichnet war. Direkt bei der Unterkunft sollte  auch die Anhörung stattfinden. Die Zugnummern und weitere Infos habe ich den beiden auch aufgeschrieben. Dann habe ich den beiden noch erklärt, dass sie dem Schaffner oder bei einem Kontakt mit der Polizei unbedingt das Einladungsschreiben zur Anhörung vorlegen sollten. Auch auf ihr Recht auf einen Dolmetscher, der ihre Muttersprache beherrscht, habe ich sie hingewiesen. Dann habe ich sie zum Hauptbahnhof nach München gebracht. Als sie weg waren, habe ich mir Sorgen wie um die eigenen Kinder gemacht und immer wieder gehofft, dass alles klappt. Tatsächlich war dann der passende Dolmetscher an diesem Tag nicht in Bayreuth, sodass die beiden Afrikaner unverrichteter Dinge wieder zurückkamen. Ungefähr ein Vierteljahr später habe ich erfahren, dass die jungen Männer zu diesem Zeitpunkt kaum lesen und schreiben konnten. Wie sie sich zur Unterkunft durchgeschlagen haben und den richtigen Zug für die Rückfahrt gefunden haben, ist mir bis heute ein Rätsel, irgendjemand muss ihnen geholfen haben. Ich muss heute noch lachen, wenn ich an diese Geschichte denke. Nach viereinhalb Jahren bin ich nun immer noch in Kontakt ihm. Er kann inzwischen Deutsch lesen und schreiben, sodass wir uns über WhatsApp austauschen können.“

Den Flüchtlingen auch etwas zutrauen

„Die ersten Flüchtlinge kamen Mitte Dezember 2015 an. Schon am nächsten Tag mussten sie sich bei der Gemeinde anmelden. Und am Tag darauf sollten sie sich beim Landratsamt in Dachau registrieren lassen. Sie zur Gemeinde zu bringen war relativ unproblematisch. Nach Dachau mussten wir den Linienbus nehmen. Als der Fahrer unsere relativ große Gruppe gesehen hat, meinte er, dass ja nun außer den Flüchtlingen keine anderen Passagiere im Bus Platz hätten. Weil wir auf die Mitfahrt bestanden, hat er dann bei seinem Unternehmen angerufen und noch einen zweiten Bus angefordert. Es gibt Leute, die sagen, wenn ein Flüchtling beispielsweise den Weg von Nigeria nach Deutschland findet, dann kann er auch alleine zum Landratsamt. In gewisser Weise ist an dieser Bemerkung auch etwas dran: Wir Helfer und Helferinnen müssen aufpassen, dass wir unsere Schützlinge nicht zu sehr bevormunden – wir sollten ihnen auch etwas zutrauen. Deshalb begleiten wir die Flüchtlinge nur noch in besonderen Fällen. So bringe ich Leute, die eine schwere Krankheit haben und operiert werden müssen, in das jeweilige Krankenhaus und helfe ihnen, sich dort zurechtzufinden. Ich erinnere mich beispielsweise an einen jungen Mann, den ich mehrmals in die Klinik nach Großhadern gebracht habe. Zufällig war dort auch ein Arzt aus seiner Heimat tätig. Der hat ihm den Ratschlag gegeben, seine Zeit nicht nur mit seinesgleichen, sondern auch mit Deutschen zu verbringen. Diesen Ratschlag hat der junge Mann dann beherzigt und sich sehr gut weiterentwickelt. Er wurde selbstbewusster und hat eine Ausbildung zum Kaufmann begonnen und eine Wohnung in München gefunden.  Das hat mich sehr gefreut, denn ich sage den jungen Männern immer, dass eine Ausbildung in Deutschland Gold wert ist. Eines Tages wollte sich der junge Mann unbedingt mit mir treffen. Bei dieser Begegnung hat er mir dann erklärt, dass er die Ausbildung abbrechen muss: Sein Vater war gestorben und er als ältester Sohn musste von nun an für die Familie sorgen. Es war klar, dass er deutlich mehr Geld benötigte, als er in der Ausbildung bekam. Ich fand den Abbruch zwar schade, konnte ihn aber verstehen. Außerdem habe ich das Gefühl, dass er auch so durchkommen wird – er ist sehr clever und hat gute Manieren. Vielleicht macht er ja zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Ausbildung. “

Sich nicht zu wichtig nehmen

„Einmal habe ich eine Familie aus Nigeria betreut. Sie hatten drei Kinder, das jüngste war gerade erst zwei Wochen alt. Ich habe die Frau zur Frauenärztin gefahren und habe dafür gesorgt, dass das Thema Empfängnisverhütung angesprochen wurde. Die Ärztin hat daraufhin der Nigerianerin eine Drei-Monatsspritze verabreicht. Ich habe für die junge Frau eine Hebamme organisiert, die darauf achten sollte, dass bei dem Baby die Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden. Natürlich habe ich mich auch um die Kostenübernahme für die Hebamme gekümmert. Ein anderer Helfer hat wichtige Papiere für die Familie besorgt. Kurzum: Wir haben uns sehr intensiv um diese Familie gekümmert. Als ich dann aus dem Urlaub zurückgekommen bin, waren die Nigerianer verschwunden. Niemand, auch keiner der anderen Flüchtlinge, hat irgendetwas bemerkt. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden und haben sich von niemandem verabschiedet. Natürlich war das im ersten Moment auch traurig und frustrierend. Aber ich glaube nicht, dass es etwas mit Undank zu tun hat. Wahrscheinlich haben sie einfach keine Perspektive in Deutschland gesehen. Ich glaube, man darf sich selbst in solchen Situationen nicht so wichtig nehmen und muss sich immer in die Sichtweise der Flüchtlinge hineinversetzen.“

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